Steht unsicher  
  Mattias 1 Jahr  
  Gehlernwägelchen  
  Tanz mit Hanna  


Wie alles begann...

Als Mutter spürte ich, dass mit unserem Sohn etwas nicht in Ordnung war. Zuerst dachten wir, er sei nur bewegungsfaul und ein ruhiges, zufriedenes Kind, halt ganz wie der Vater.

Mattias drehte sich als Baby nie vom Rücken auf den Bauch und sehr selten vom Bauch auf dem Rücken. Er konnte auch nicht selber aufsitzen oder krabbeln. Er sass nur auf dem Po oder lag auf dem Rücken. Mit etwa 11 Monaten lernte er, sich fort zu bewegen, indem er sich mit einer Hand auf dem Boden abstützte, damit seinen Po hoch hebte und sich einen Stück nach vorne schwingte.
Als er mit 16 Monaten immer noch nicht selber aufsitzen konnte, ging ich zum Kinderarzt und verlangte die Einweisung zu einer Physiotherapeutin. Dort lernte er innerhalb von ein paar Monaten aufsitzen und konnte sich auch in Rückenlage drehen.
Mit 20 Monaten konnte er mit fremder Hilfe stehen, aber nach wie vor nicht laufen. In der Physiotherapie liehen wir ein kleines ”Gehlern-Wägelchen” aus. Er lief gerne damit herum, ess machte ihm sichtlich Spass, sich fortzubewegen!
Als er 23 Monate und ein paar Tage alt war, lief er seine erste Schritte ohne Hilfe. Die Freude bei ihm und uns war riesig!
Seine Schwester, sie ist 15 Monate jünger, lernte zu dieser Zeit krabbeln und eine Zeitlang krabbelte Mattias mit ihr, doch er ermüdete sehr schnell.

Mit 2.5 Jahren hatten wir bei der Kinderärztin einen Termin wegen Sprachverzögerung. Er konnte nur ein paar Wörter sprechen, wir führten das aber auf die zweisprachige Erziehung (Schwedisch und Schweizerdeutsch) zurück.Während der Untersuchung fragte ich die Kinderärztin, wann Mattias denn von der Hocke aus aufstehen lernen würde. Sie sagte, das das schon noch kommt. Wollte Mattias vom Boden aufstehen, drehte er sich auf allen vier und kletterte dann mit den Händen an den eigenen Beinen hoch, bis er aufrecht stand. Ich fand das etwas merkwürdig, hatte ich es doch nie bei einem anderen Kind gesehen.

Ich habe leider vergessen wie und warum wir informiert wurden, dass wir Mattias im Kinderspital untersuchen lassen sollten. Jedenfalls kam es zu einer Untersuchung im Kinderspital. Mattias wurde Blut entnommen und er durchlief eine neurologische Untersuchung. Als ich fragte, was es sein könnte, sagte die Ärztin “eventuell eine Muskelkrankheit”. Nach etwa zwei Wochen wurde Mattias ein zweites Mal für eine Blutentnahme aufgeboten. Nun dauerte es 4 Wochen, bis wir das Resultat erhielten. Als uns das Kinderspital anrief, wir sollten beide Eltern für eine Besprechung zum Arzt kommen, ahnten wir noch nichts Schlimmes. Krankheiten können ja geheilt werden, auch Muskelkrankheiten, dachten wir. Wie unwissend wir waren!

Der Arzt informierte uns über das Resultat der Blutentnahme: Muskeldystrophie Duchenne. Er erklärte uns kurz den Verlauf der Krankheit – Muskelverlust, Rollstuhl im Kindergartenalter, Lähmung des ganzen Körpers, Lebenserwartung bis knapp 20 Jahren. Wir erhielten eine Broschüre über Duchenne der Schweizerischen Gesellschaft für Muskelkranke Gleichzeitig gab der Arzt uns den Rat, nicht allzu viel im Internet zu surfen und die Sache behutsam anzugehen.
Der Arzt schlug vor, Mattias sofort mit Cortison zu behandeln um die Gehfähigkeit zu verlängern und mit Physiotherapie wieder anzufangen. Er erwähnte auch, dass es keine Medikamente oder Behandlung gäbe, die ihn heilen könnte.

Mattias war zu dem Zeitpunkt 2 Jahre und 9 Monate alt, das ganze Leben vor sich.  Diese Diagnose zerstörte mit einem Mal unsere Familienidylle. Wir gingen sehr, sehr leer, traurig und weinend aus dem Besprechungszimmer. Was wird uns erwarten? Wie wird sich Mattias’ Leben gestalten? Wie wird unser Leben als Familie, Mutter, Vater aussehen? Wollen wir so weitermachen? Schaffen wir das überhaupt?

Natürlich haben wir – vor allem ich – sehr viel im Internet nach Informationen gesucht. Und geweint. Und wieder geweint. Es tat sehr weh zu wissen, das unser Sohn eine unheilbare Krankheit hat und immer anders sein wird. Und dieser Schmerz hält an.
Ich habe uns kurz darauf in einer Selbsthilfegruppe für Eltern mit Duchenne-Buben angemeldet. Das erste Mal wollte mein Mann nicht mitkommen. Als ich nach Hause fuhr habe ich sehr viel geweint, aber auch ein bisschen Hoffnung geschöpft. Die anderen Eltern sprachen von schönen Zeiten mit den Buben und gaben Ratschläge und Tipps.

Obwohl wir es vor gut zwei Jahren als wir die Diagnose bekamen nicht für möglich hielten, das Leben ging und geht weiter...

November 2009.